„Die vertikale Linie“
Die Meditation vom 26. Oktober 2019 rundete einen intensiven Arbeitstag für zukünftige Yogalehrer und Yoga Interessierte aus Deutschland, Österreich, Belgien und der Slowakei ab.
Ein wichtiges Kriterium im Yoga ist die Form und Heinz Grill sagt, dass auch die Konzentration eine Form hat. Auf die Frage, was Meditation bedeutet, antwortet er, dass es nicht bedeutet, einen Entspannungszustand aufzusuchen, um mit dem Stress oder Problemen des Lebens zurecht zu kommen. Am Anfang einer Meditationspraxis, so fährt er fort, werden wir noch gar nicht so recht tiefere Gefühle durch höheres Wissen entwickeln können, diese entstehen erst durch regelmäßige Meditation über längeren Zeitraum.
In anderen Meditationsformen und in vielen esoterischen Praktiken ist es üblich, sich zu entspannen und sich vom Stress zu befreien, aber im Verlaufe des heutigen Tages mit intensiver Asanapraxis (asana ist das Sanskritwort für Yogastellung) konnte jeder erkennen, dass Entspannung eine automatische Folge des Yoga ist. Heute sind Entspannungstechniken und Erholungsorte sehr verbreitet; in Wirklichkeit brauchen wir aber keine Entspannung, sondern gesunde Aktivitäten. Fragen wir uns, ob wir nach sechs Stunden Yogapraxis heute angespannt sind und Entspannung brauchen. Alle Teilnehmer bestätigen, dass sie entspannt sind. Das gilt auch für diejenigen, die einen intensiven Arbeitstag auf dem Feld gehabt haben oder die von einer Wanderung in den Bergen zurückkommen, danach würde keiner auf die Idee kommen und nach Entspannung fragen. Wenn wir eine gute Arbeit leisten, dann werden wir gut aufgebaut sein, aber wenn wir ohne Inhalt arbeiten, werden wir nicht erbaut sein. Selbst für die antiken Philosophen ist Entspannung die natürliche Konsequenz, Entspannungsübungen gab es gar nicht.
Auch für die Meditation brauchen wir einen Inhalt. Der heute Morgen durchgeführte Kopfstand hat einen schönen Inhalt: die vertikale Linie. Die vertikale Linie repräsentiert die spirituelle Welt bzw. die Verbindung mit ihr. Die horizontale Linie ist anders, sie repräsentiert die irdische Welt. Diese beiden Linien schneiden sich an genau einem Punkt und bilden ein Kreuz. Die vertikale Linie erstreckt sich zwischen einem oberen Begrenzungspunkt, dem Zenit, und einem unteren Fußpunkt, dem Nadir.
Die vertikale Linie ist Sinnbild für die Kraft des Gedankens, während die horizontale Linie ein Zeichen des Lebens auf der Erde ist. Bauen wir die Vorstellung gut auf: „Die vertikale Linie besitzt eine Kraft, eine geistige Kraft, die sich mit der Erde verbindet“. Dieses Bild, dass die Kraft des Geistes in der vertikalen Linie liegt, wird zum gültigen Inhalt, zum spirituellen Inhalt für die Meditation. Jetzt könnten wir aber sagen, dass wir das jetzt gehört haben und dies nun wissen, das müsste doch ausreichen. Warum müssen wir uns noch auferlegen, darüber zu meditieren? Das Bild der vertikalen Linie, die die beiden Welten, das Irdische und das Geistige, verbindet, muss durch eigene Erfahrung verinnerlicht werden; durch die Meditation wird der Gedanke im Raum erschaffen, und durch dieses Erschaffen des Gedankens können logische weitere Gedanken hinzukommen, und somit kommt es zum Vertiefen des Gedankens. Daher ist es wichtig, Erfahrungen zu sammeln.
Aber der Prozess ist noch nicht beendet.
Wir dürfen das Bild der Meditation nicht nach Belieben ändern, z. B. indem wir die vertikale Linie durch einen vertikalen Baum, den wir gesehen und für den wir Sympathie empfunden haben, ersetzen. Es ist nicht förderlich, sich von diesen Gefühlen des Gefallens oder der Sympathie ablenken zu lassen, in diesem Punkt müssen wir diszipliniert bei diesem Bild, bzw. Gedanken verweilen, um in seinem Licht zu bleiben.
Ein weiterer Fehler ist die Annahme, dass man diesen Gedanken bereits verstanden hat, nachdem man ihn gehört hat. Das Verständnis darf jedoch nicht durch subjektive Interpretationen oder Bewertungen, die von unserem Willen bestimmt werden, gestört werden. Wie oft leitet man als Yogalehrer eine Yogaübung an, und der Teilnehmer macht etwas ganz anderes, macht sein Eigenes…
Leider sind viele Menschen heutzutage davon überzeugt, dass sie spirituell sind, weil sie ihren eigenen Gefühlen folgen. Auch im Yoga werden oftmals besonders diese Gefühle wie Sympathie und Wohlbefinden gesucht. Dieser Yoga hier, d.h. „der Neue Yogawille“ ist nicht für das Ziel von angenehmen Gefühlen geschaffen.
Wenn wir nach unseren Gefühlen geübt hätten, hätten wir zum Beispiel heute nicht diese herausfordernde vorwärts beugende Übung, pascimottanasana, mit Aktivierung des dritten Chakra gemacht. Und auch der Kopfstand muss zuerst gedacht und sich gut vorgestellt werden, bevor er ausgeführt wird. Für die geistige Welt ist es wichtig, ein erweitertes Bewusstsein und tiefere Empfindungen zu entwickeln. Wenn wir in unseren eigenen Gefühlen bleiben, kehren wir zurück zu „Samsara“, zurück in unsere Subjektivität, wir müssen jedoch danach streben, die Seele und den Geist zu entwickeln und nicht die sentimentale Sphäre.
Langfristig gesehen ist es deshalb wichtig, für die Meditation Gedanken aufzubauen. Die vertikale Linie, die eine verborgene geistige Kraft besitzt, ist das Symbol des Gedankens. Deshalb werden wir in der Meditation mit diesem Bild bleiben, in einer ruhigen Position, für 12 Minuten. Durch regelmäßige Wiederholung lernen wir im Laufe der Zeit dieses Bild besser kennen, wir müssen jedoch unsere Emotionen beiseite zu lassen, ja sogar auf dem Mond lassen.
Das Bild der Meditation ist: „Die vertikale Linie ist eine geistige Kraft“.
Nach der meditativen Phase schilderte Heinz Grill, dass es, nachdem man den Gedanken gehört hat 3 weitere Stufen gibt, um die Einheit mit dem geistigen Inhalt zu erlangen.
hören
1. Stufe: manas
2. Stufe: buddhi
3. Stufe: atman
Als erstens haben wir nun eine Wahrheit vernommen, und zwar, dass in der vertikalen Linie eine Kraft lebt, aber wir haben noch nicht manas (1. Stufe) erreicht. Was wir gehört haben, wird durch die Meditation, Kraft und Wert erhalten. Wir erschaffen den Gedanken und unser Bewusstsein kann sich dadurch erweitern. Für die Seele und den Geist zählen, wie Heinz Grill bereits ausführte, die Entwicklungen in unserer Seele und Geist, und irdische Gefühle wie Sympathie oder Freude sind beiseite zu lassen.
In unserem Bewusstsein wissen wir jetzt, dass es in der vertikalen Linie eine Kraft gibt, und dank dieses Wissens können wir nun in manas , in eine erste Stufe der Einheit gelangen. Das wiederholte Erschaffen der Gedanken führt schrittweise zu den beiden weiteren Stufen.

Nach der von einer Teilnehmerin vorgeführten Position des Kopfstands, sirsasana, erklärt Heinz Grill, dass in dieser Position eine Kraft lebt, die wir nicht sehen können, aber dank der Meditation, konnten wir verstehen, dass in dieser Position, die die vertikale Linie darstellt, eine spirituelle Kraft lebt. Letztendlich haben wir diese Kraft erlebt. Wir sind also in der ersten Stufe, in manas. Wir können sagen, dass wir auch im Yoga im manas sind, wenn die Vorstellung für eine Asana (Yogastellung) mit der Ausführung überein stimmt.
Wenn wir in den Bewegungen des Yoga auch Freude durch Empfindungen wie Weite, Leichtigkeit, Fließen usw. ausdrücken, sind wir in der nächsten Stufe angelangt. Wenn es uns gelingt, diese Kraft auf andere auszustrahlen, so dass auch ein anderer Mensch erbaut wird, dann können wir sagen, dass wir buddhi erreicht haben. Die Charakteristik von buddhi ist genau diese Ausstrahlung. In diesem Stadium sind wir in tiefen Seelenempfindungen gegründet.
Wenn wir das Bild/die Immagination in seiner Gesamtheit zum Ausdruck bringen, können wir sagen, dass wir uns im atman befinden, wo die Einheit zwischen dem strahlenden Gedanken und dem, der ihn wahrnimmt, erreicht wurde. Es ist eine unmittelbare Einheit, deren Kraft in die Geistige Welt eindringen wird. In der Stufe von atman sind wir selbst zum Gedanken geworden, wir sind im Selbst, dies aufgrund unseres Erschaffens und Ausstrahlung. Das Sanskritwort advaita (nicht dual) drückt diese Einheit aus.
Auch im Yoga sollten wir durch guten Unterricht zumindest manas erreichen, oder noch besser ist es, wenn wir auch die beiden anderen Stufen erreichen. Für dieses Ziel ist eine kontinuierliche Meditation notwendig, denn im Laufe der Zeit entwickelt sich ein größeres Bewusstsein und Konzentrationsfähigkeit.
Wir müssen zur tiefen Bedeutung der Worte kommen. So können beispielsweise die Worte aus dem Johannesevangelium „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ in ihrer geistigen Dimension durch Meditation verstanden werden.
Heute ist es aufgrund des Rationalismus und der enormen Informationsmengen und Wissen, die uns umgeben und beeinflussen, schwierig, diese drei Stufen zu erreichen, durch diese ganze Überlastung können wir nicht einmal unseren Gedanken bewusst entwickeln.
Einst musste man, wie es z. B. Dr. Hahnemann (Vater der Homöopathie) tat, mit viel Aufwand und Forschung, zahlreiche Versuche und Experimente vornehmen, bevor man zu einem wirklichen Wissen kam.
Heute wird diagnostiziert, ohne weiter zu forschen, zum Beispiel die senile Demenz, Alzheimer, die durch die Forschung, Beobachtung und Analyse des Gehirns des Dr. Alzheimer (1865 in Deutschland geboren) entdeckt wurde.
H. Grill beendet die Meditation mit dem Rezitieren eines Mantra in Sanskrit, was so viel bedeutet:
Aus der Polarität von Leid und Freude
ein neues Zentrum wird entsteht.
Bewusst und frei vom Körper
Frieden entsteht.
Übersetzt aus dem Italienischen von Caterina